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Röttgen: Ausbau der erneuerbaren Energien ist der Taktgeber
Röttgen: Ausbau der erneuerbaren Energien ist der Taktgeber
Bundesumweltminister Norbert Röttgen kündigt im Interview mit der “Welt am Sonntag” moderate Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke an. Die Laufzeitverlängerung solle auf jeden Fall Bestandteil des Energiekonzepts sein ebenso wie Investitionen in Netze und in moderne Speichertechnologien. Welt am Sonntag (WamS): Herr Minister, früher bestanden Bundesregierungen aus Koalitionspartnern, inzwischen aus Wildsäuen, Gurkentruppen, Rumpelstilzchen oder traumatisierten Parteivorsitzenden. Sind Sie heute schon beschimpft worden? Norbert Röttgen: Durch solche verbalen Ausfälle wird eine Regierung den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an verantwortliches Verhalten nicht gerecht. In Inhalt und Stil der Regierung muss deutlich werden, dass wir den Ernst der Lage verstanden haben. WamS: Solche Auseinandersetzungen kennt man eher zwischen Opposition und Regierung, etwa die Kraftmeiereien von Strauß und Wehner … Röttgen: … die waren wenigstens witzig, soweit ich das erinnere … WamS: … heute klingt aus den Attacken eher Bitterkeit und Frust. Warum? Röttgen: Es kommt viel zusammen. Wir müssen innerhalb kürzester Zeit viele Riesenprobleme gleichzeitig lösen: Staatsverschuldung, Euro-Krise, der Rücktritt des Staatsoberhauptes. Da ist ein ungewöhnliches Maß an Kraft gefordert. WamS: Inzwischen werden sogar Drohkulissen eines vorzeitigen Endes der Regierung aufgebaut. Röttgen: Das ist Unsinn. Allerdings müssen wir, wenn wir Erfolg haben wollen, auch zur Selbstkritik und zu Selbstkorrektur bereit sein. Mit den Beschlüssen zum Haushalt haben wir gezeigt, dass wir in einer extrem schwierigen Lage zu einer enormen Kraftanstrengung und zur Konsolidierung fähig sind. Das kann ein guter Neuanfang sein. WamS: Die Ergebnisse der Klausurtagung sind gleich wieder zerredet worden. Nicht nur der Arbeitnehmerflügel der Union, auch der Wirtschaftsarbeitskreis hat zusätzliche Steuererhöhungen verlangt. Röttgen: Dass sich Parlamentarier zu Wort melden, nachdem die Regierung Eckpunkte beschlossen hat, finde ich in Ordnung. Mit Zerreden hat das nichts zu tun. In dieser Diskussion, die zur Demokratie gehört, muss sich die Regierung bewähren. Wir haben unsere Führungsverantwortung wahrgenommen, nun kommt die Diskussion, dann die Entscheidung. In Deutschland werden die Gesetze noch immer vom Bundestag verabschiedet. WamS: Warum haben Sie die Steuererleichterung im Hotelgewerbe nicht zurückgenommen? Röttgen: Natürlich darf man kritisieren, dieses und jenes fehle im Paket. Vor allem haben wir aber eine Konsolidierungsentscheidung getroffen, die es in dieser Form in der Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben hat. Wir reden über 85 Milliarden Euro, die innerhalb von vier Jahren eingespart werden, um den Haushalt in Ordnung zu bringen. In der Hotelfrage und beim Thema Steuererhöhungen gab es von der CSU und der FDP klare Festlegungen, deshalb waren dort keine Kompromisse oder Korrekturen möglich. WamS: Soll die Koalition über die Wahl des Bundespräsidenten diszipliniert werden? Röttgen: Noch mal Unsinn. Die Mehrheit hat eine besondere Verantwortung dafür, einen gemeinsamen Kandidaten für das höchste Staatsamt auszuwählen, den die Bevölkerung aufgrund seiner Biografie, seiner Integrationskraft und seiner Fähigkeit zur Orientierung als geeignet und als angemessen betrachtet. Das haben wir mit Christian Wulff getan. Es wäre naiv anzunehmen, dass SPD oder Grüne im Falle einer eigenen Mehrheit Herrn Gauck aufgestellt hätten oder auf die Union zugekommen wären. WamS: Wie aber wollen Sie den Eindruck vermeiden, die Wahl werde benutzt, um die Koalition zu kitten? Röttgen: Natürlich ist eine Mehrheit für Christian Wulff auch Ausdruck der Stabilität der Koalition aus CDU/CSU und FDP. Seit der Wahl von Theodor Heuss zeigt sich in der Wahl des Bundespräsidenten die politische Mehrheit des Landes. WamS: Würde die Nicht-Wahl von Wulff das Ende der Koalition bedeuten? Röttgen: Das wird nicht passieren. WamS: Apropos Zukunft: 2030 werden Sie das Rentenalter erreichen. Kochen Sie dann noch mit Atomstrom? Röttgen: Mit erneuerbarer Energie schmeckt es bestimmt besser! Im Ernst: SPD und Grüne haben festgelegt, 2022 das letzte Kernkraftwerk vom Netz zu nehmen. Das war ein politisches Datum. Wir wollen dagegen seriös berechnen lassen, wie viele Jahre es noch dauern wird, bis die erneuerbaren Energien die Kernenergie ersetzen können. Ich gehe davon aus, dass wir eine moderate Laufzeitverlängerung brauchen. Die Koalition wird darüber entscheiden, was das genau bedeutet – rechtlich und auch politisch. Die Laufzeitverlängerung soll auf jeden Fall Bestandteil des Energiekonzepts sein, das zahlreiche noch viel wichtigere und drängendere Fragen zu beantworten hat, wie zum Beispiel Investitionen in Netze und in moderne Speichertechnologien. WamS: Weil Sie bei der Laufzeitverlängerung so zurückhaltend agieren, hat Ihr Parteifreund, Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus, schon Ihren Rücktritt gefordert, andere haben mit Kritik an diesem Wochenende nachgelegt. Röttgen: Über Vorgehensweise und Zeitplan besteht innerhalb der Bundesregierung und auch mit den Ministerpräsidenten der CDU/CSU vollständiges Einvernehmen. Die Bundeskanzlerin hat die Verfassungsressorts aufgefordert, den rechtlichen Rahmen für Laufzeitverlängerungen zu bewerten. Diese halten “moderate Laufzeitverlängerungen” für vertretbar, allerdings verbunden mit einem nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Risiko. Das weitere Vorgehen auf der Basis dieses Rechtsgutachtens wurde vor einer Woche einvernehmlich besprochen. Es gibt deshalb überhaupt keinen Grund für Aufregung und Ungeduld. Wir klären den rechtlichen Rahmen, berechnen die Szenarien und treffen dann die politischen Entscheidungen. Grundsätzlich ergibt sich aus dem Koalitionsvertrag: Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist der Taktgeber, auch für künftige Laufzeitverlängerungen. Einen sachlichen Grund für Dissens gibt es nicht. WamS: Mappus und auch Wirtschaftsminister Brüderle (FDP) wollen längere Laufzeiten und dann 50 Prozent der zusätzlichen Gewinne abschöpfen, um damit den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern. Was spricht dagegen? Röttgen: Der Koalitionsvertrag sieht den Zusammenhang zwischen Laufzeitverlängerungen und Investitionen in erneuerbare Energien sogar vor! Deutschland steht in einem globalen Wettbewerb um wirtschaftliche Modernisierung und technologische Innovation. Es geht jetzt im Kern nicht um die kurzfristige Gewinnmaximierung einzelner Unternehmen, sondern um eine langfristige Strategie zum Aufbau einer neuen, dezentralen Energieversorgung auf der Basis erneuerbarer Energien. Das ist die wahre Alternative. Wenn wir auf alten Technologiekonzepten beharren, verspielen wir Wohlstand und Wachstum. WamS: Die Bundesregierung hat gerade eine Brennelementesteuer beschlossen. Müssen am Ende die Stromkunden dafür aufkommen? Röttgen: Die Brennelementesteuer macht den Strom nicht teurer. Es sollen vielmehr die Energieversorger unter anderem an den Sanierungskosten für die maroden Atommülllager Asse und Morsleben beteiligt werden. Sie ist nach dem Vorschlag des Finanzministeriums unabhängig von einer Laufzeitverlängerung. Dennoch könnte sie auch das Instrument zur Abschöpfung der Gewinne bei Laufzeitverlängerungen sein. Darüber werden wir im Rahmen des Energiekonzeptes entscheiden. Der eigentliche Preistreiber beim Strom ist übrigens der fehlende Wettbewerb … WamS: … und der Solarstrom. Die Stromkunden zahlen dafür derzeit zwei Cent pro Kilowattstunde extra. Bald werden es vier Cent sein. Röttgen: Darum haben wir eine deutliche Kürzung der Fördersätze der Fotovoltaik beschlossen. Es stimmt aber, dass die erneuerbaren Energien auf Markteinführung für eine gewisse Zeit angewiesen sind. Auch Kernenergie und Kohle haben Subventionen erhalten. WamS: Sie reden wie ein Gegner der Kernenergie! Röttgen: Überhaupt nicht. Ich habe immer gesagt: Ich verstehe mich nicht als Ausstiegs-, sondern als Einstiegsminister. Kernkraftwerke sollten am Netz bleiben, so lange wir sie brauchen. Ich will aber keinen Zweifel lassen, wohin ich will: zu den erneuerbaren Energien. Interview: Marcus Heithecker, Claudia Ehrenstein und Claus Christian Malzahn. www.bundesregierung.de
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