Berlin ist Hauptstadt der Solar-Tüftler

Bei der Entwicklung der Solarenergie ist Berlin Weltspitze. Und auch in anderen Bereichen der “Green Economy” arbeiten so viele Firmen wie sonst nirgendwo in Deutschland. Grüne Technologie ist eine riesige Chance. Doch gerade das Beispiel Solar belegt die Versäumnisse der Berliner Wirtschaftspolitik in der Vergangenheit.
Im Jahr als die Mauer fiel, ist Stefan Krauter aus München nach Berlin geflüchtet. “An der Technischen Universität dort hielten sie mich für einen grünen Spinner”, erinnert sich der Ingenieur. Für seine Forschung an Photovoltaik-Modulen fand der Schwabe in Bayern keinen Doktorvater. Bei Professor Rolf Hanitsch an der TU Berlin kam er mit seinem seinerzeit noch etwas abseitigen Thema an.
Krauter einer der führenden Experten für Solarstromerzeugung weltweit, auf Seiten der Wissenschaft ebenso aktiv wie als Unternehmer. Es sind Leute wie Krauter, die die Berliner “Green Economy” zum wirtschaftlichen Kraftfeld der Stadt machen. Nach einigem Zögern hat auch der Senat die Dynamik erkannt. Die jüngste Wirtschaftskonferenz im Roten Rathaus widmete sich dem Thema, obwohl es Überredung gekostet hatte, die Organisatoren vom ursprünglich geplanten Motto “Ernährungswirtschaft” abzubringen.
Grüne Wirtschaft ist international en vogue, nicht nur vor der Klimakonferenz in Kopenhagen. In Berlin profitieren so viele Firmen von den Anforderungen nach erneuerbarer Energie, geschlossenen Materialkreisläufen und sauberer Mobilität wie sonst nirgends in der Republik. “Green Economy wird weltweit wachsen, und Berlin kann mitwachsen”, sagt René Gurka, Chef der Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner.
500 Unternehmen ordnet die Industrie- und Handelskammer dem Sektor zu, der von klassischen Branchen wie der Wasserwirtschaft über Abfallbehandlung und Bodensanierung bis zur Entwicklung von Elektroautos und der Photovoltaik reicht. 42000 feste Mitarbeiter verdienen in diesen Unternehmen ihr Brot, das sind fast so viele wie in Hamburg und München zusammen. 5,1 Prozent aller deutschen Green-Economy-Beschäftigten arbeiten in Berlin.
Vom Querdenker zum Unternehmer
Die Geschichte des Photovoltaik-Experten Stefan Krauter und seiner Mitstreiter illustriert die “industrielle Evolution” (“Süddeutsche Zeitung”), die sich unbeachtet von einer breiteren Öffentlichkeit in Berlin vollzogen hat. Der Zuzügler aus Bayern traf in Berlin auf eine Gruppe von Solarenthusiasten rund um das Kreuzberger Ingenieurkollektiv “Wuseltronik”. Sie waren gegen Atomkraft, wollten nicht in Konzernen arbeiten und träumten von sauberer Energie. Aus dieser Alternativszene entstanden seit den 90er-Jahren führende Solarunternehmen: Solon, heute in Berlin-Adlershof, und der weltgrößte Solarzellen-Produzent Q-Cells.
Der Werdegang von Q-Cells belegt die Versäumnisse Berliner Wirtschaftspolitik in der Vergangenheit. Als die Solartüftler 1999 ihre Firma gründen wollten und beim Senat vorsprachen, warteten sie zwei Stunden auf den zugesagten Termin. Niemand kam. In Brandenburg lief es ähnlich. In Sachsen-Anhalt rollten sie den Berlinern dagegen den roten Teppich aus. Die Solarfabriken von Q-Cells entstanden nicht in Berlin, sondern im strukturarmen Bitterfeld.
Paul Grunow erzählt das inzwischen ohne Groll, obwohl er wegen dieser Nichtachtung Jahre seines Lebens in der Provinz verbringen musste. Der promovierte Physiker, der gern im Kreuzberger Kapuzenpulli-Look mit dem Fahrrad unterwegs ist, gehört zu den Gründern sowohl von Solon als auch von Q-Cells. Heute führt er mit Krauter das Photovoltaik-Institut Berlin, eines der weltweit führenden Labore zur Zertifizierung von Solarmodulen. Letzte Woche zog das Unternehmen mit 30 Mitarbeitern aus einem Souterrain der TU Berlin in der City West nach Kreuzberg. Hier rütteln sie an Modulen, demontieren sie, setzten sie in Klimakammern Hitze und Feuchtigkeit aus, untersuchen die Platten mit Röntgenstrahlen auf winzige Risse und alles, was darauf hindeuten könnte, dass die geklebten Gläser mit den Halbleitern dazwischen die versprochene Lebenszeit von 20 Jahren nicht überstehen.
In der sogenannten Sonnenkammer schließlich entscheidet sich, ob Renditeträume der Investoren reifen oder zerplatzen. Mit 1000 Watt Sonnenlicht bestrahlen Grunows Mitarbeiter die Module und messen, wie viel Strom sie dabei produzieren. Die Zertifikate der Berliner sind begehrt. Auch die Chinesen, die mit niedrigen Preisen den Weltmarkt aufmischen, brauchen eine Bestätigung aus Berlin, um Kunden zu überzeugen. “Die wachsen, wir testen sie”, sagt Grunow.
Für die deutschen Hersteller von Solarzellen wie Q-Cells und Solon hingegen werde die Lage schwieriger, weiß Grunow. Bessere Chancen biete noch die Dünnschicht-Technologie, wie sie die neu in Berlin aufgebauten Fabriken von Sulfurcell in Adlershof und Inventux in Marzahn nutzen. In dieser Technologie hätten sie in Fernost noch einen Rückstand. Ebenso bei der Produktion von Maschinen, die für die Solarproduktion eingesetzt werden. Damit macht der Moabiter Maschinenbauer Jonas und Redmann, der seit seiner Gründung 1989 auf 600 Mitarbeiter gewachsen ist, weltweit gute Geschäfte.
Auf solchen Unternehmen ruhen die Hoffnungen der Berliner Politik. “Große Chancen sehe ich zum Beispiel entlang der gesamten Wertschöpfungsketten von Stromerzeugung und E-Mobility”, sagt Wirtschaftsförderer Gurka. “Ob Turbinenbau, Entwickeln, Testen und Produzieren von Solarzellen oder Energiespeicherung – überall ist Berlin vorn dabei oder hat innovative Ansätze.” In der Stadt würden Hybridantriebe entwickelt und die ersten seriennahen Elektroautos in der Praxis getestet. “Berlin wäre daher auch ein idealer Standort für Entwicklung und Bau von Elektromotoren”, findet Gurka.
Hightech-Messe in Berlin
Die Solarpioniere Krauter und Grunow wünschen sich, dass Berlin sich stärker dem Leitbild der Green Economy unterwirft. “Toll wäre eine Berliner Messe mit dem Stellenwert einer Hannover Messe für die Industrie, nur für nachhaltige Technologien”, sagt Grunow. Von der Bundespolitik wünschen sich die Unternehmer Klarheit, wie es mit dem Energieeinspeisegesetz weitergeht, das Erzeugern von Solarstrom gute Erträge garantiert. “Wir können mit weniger leben”, sagt Stefan Krauter stellvertretend für die Branche, “aber wir brauchen eine Perspektive, wenn weiter investiert werden soll.”
Wie schon zu Beginn ihrer Laufbahn sind die Kreuzberger gegen Kernkraftwerke. Durch ihren Weiterbetrieb werde Geld für alte Technik verschwendet und der Vorsprung bei den erneuerbaren Energien gefährdet. Dabei, so warnt Grunow, zeigten die Qualitätstests schon heute keinen großen Unterschied mehr zwischen made in Germany und made in China.

Willi Harhammer

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