Speicher in öffentlichen und industriellen Netzen: Die Energie-Zukunft ist bereits ganz nah

Fachforum in Nürnberg brachte Anwender, Forscher und Anbieter zusammen / Hohe Teilnehmerzahl zeigt die Relevanz

Die Umstellung der Energieversorgung von zentralen Kraftwerken auf dezentrale Erzeugung ist im vollen Gange. Gerade im Stromsektor wird dabei der Speicherung große Bedeutung zugemessen. Ein gut besuchtes Fachforum in der IHK-Akademie Nürnberg informierte umfassend über „Speicher in öffentlichen und industriellen Netzen“.

„Nicht nur das weiterentwickeln, was man schon kennt, sondern lieber auch etwas Neues bei Speichern!“ Chemie-Professor Dr. Peter Wasserscheid meint damit natürlich vor allem das von ihm vorangetriebene LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carrier); eine Flüssigkeit, in der Wasserstoff H2 ungefährlich transportiert werden kann. „Eine Technologie für die Zukunft“ sei das, LOHC und H2 werden „eine CO2-freie Energieversorgung erlauben“, da ist Leibniz-Preisträger Wasserscheid sicher. Denn LOHC machen unabhängig von Infrastrukturnetzen, wie sie für Gas oder Strom notwendig seien: Ein Pfandflaschensystem, ähnlich wie heute für Flüssig- oder Hochdruckgasen reiche aus; mit Lkw, Zug oder Schiff lasse sich LOHC zum Verbrauchsort transportieren. Doch anders als Druck-H2 gebe es keine Explosionsgefahr. Und am Zielort würde der Wasserstoff wieder freigesetzt, um in Brennstoffzellen Strom und Wärme gleichzeitig zu gewinnen.

LOHC ist die Zukunft
Aber warum braucht man überhaupt LOHC? „Um überschüssigen oder eigenerzeugten Strom zu speichern“, sagt Prof. Wasserscheid und bringt den Landwirt mit großer Solarstromanlage auf der Scheune ins Spiel. Statt den Ökostrom nach 20 Jahren garantierter EEG-Vergütung dann billig ins öffentliche Netz einzuspeisen, empfiehlt der Wissenschaftler dessen Speicherung – möglichst via Elektrolyse als Wasserstoff im LOHC. Doch das ist wirklich noch die Zukunft, denn das Verfahren wurde erst 2014 patentiert, ist also von Serienreife noch etwas entfernt, wie Peter Wasserscheid einräumt.

Speicher für das Heute
Doch Fakt ist schon heute: Immer mehr Regenerativ-Strom aus Sonnen- oder Windkraftwerken fließt durch unsere Netze. Und weil der „volatil“, also nicht immer dann produziert wird, wenn er auch verbraucht werden kann, wird er oft entweder „abgeregelt“ – sprich: Kraftwerke werden abgeschaltet – oder gar über Strombörsen zum negativen Preis verhökert. Deshalb bietet das Fachforum auch „einen umfassenden Überblick, wie man Strom noch weiter verwenden kann“: So jedenfalls fasst Moderator und Energie Campus-Geschäftsführer Dr. Jens Hauch den Vortrag von Dr. Alexander Tremel zusammen.
Siemens-Mitarbeiter Tremel stellt „Power to X (P2X) als Schnittstelle im Energiesystem vor: „Ich will zeigen, dass Strom in Form von Wärme oder Kraftstoff leichter speicherbar ist.“ Auch bei ihm ist es vor allem der Überschuss-Ökostrom, der per „Power to Gas” (P2G) ins Erdgasnetz eingespeist wird; per „Power to Fuel“ (P2F) und chemische Synthese flüssige Treibstoffe erzeugt; per „Power to Heat“ (P2H) und Wärmepumpe sogar Hochtemperatur-Wärme produzieren kann. All das sei heute schon wirtschaftlich, sagt Dr. Tremel. Und weil die Ökostrom-Überschüsse ja noch weiter steigen werden, ist er überzeugt: „Ein Paradigmenwechsel im Stromsektor wird auch zur Elektrifizierung anderer Sektoren führen“, also dass Verkehr, Industrie und Wärmeabnehmer künftig immer öfter auf ein passendes P2X-Verfahren zurückgreifen werden.

Speicher und Energie: Mehr als nur Strom
Damit rennt er bei Dr. Martin Kleimaier von der Energietechnischen Gesellschaft im VDE (ETG) und Verfasser einer aktuellen Studie über Speicher offene Türen ein. „Die direkte Nutzung von Strom entsprechend dem Dargebot erhöhen und Strom oder umgewandelte Produkte speichern“ fordert auch er, setzt aber andere Schwerpunkte. Kleimaiers „erweiterte Definition der Speicherung: Überschüsse aus Erneuerbaren Energien über Chemie oder Wasserstoff – stofflich nutzen, z.B. im Verkehrssektor. Über Wärme – elektrisch Heizen, Brauchwassererwärmung und Prozesswärme. Über Bio-Methan oder Pellets – zeitverzögerte Rückverstromung oder Wärmeerzeugung.“ Das sei wichtig mit Blick auf die „Energiewende, also in allen Sektoren“. Heute sei vor allem die Stromwende im Blick, ein geringer Teil des Energiekuchens. Um die gesamten CO2-Emissionen zu reduzieren, müssen fossile Energieträger ersetzt werden. „Speicherbare Energieträger – Biogas, Biomasse, Wasserstoff, aber auch Erdwärme – für mindestens 20 Tage vorhalten“ fordert Dr. Kleimaier als Langzeitspeicher. Und als „Idealfall“ sieht er die „Sektorenkopplung“, also wie Alexander Tremel verschiedene P2X-Verfahren.

Windstrom zu Fernwärme
Eines davon nutzt beispielsweise der N-ERGIE AG: Sie heizt einen 70 Meter hohen Speicher, gefüllt mit 33.000 m³ Fernwärme-Wasser, u.a. mit überschüssigem Windstrom. Doch der Nürnberger Regionalversorger setzt auch auf direkte Stromspeicherung, wie Timo Schürer von dessen Tochter Main-Donau-Netzgesellschaft klarstellt. Das sei schon allein wegen der 1,8 GW Spitzenleistung sinnvoll, welche die aktuell 45.000 Regenerativstrom-Produzenten ins Verteilnetz einspeisen können: Denn der maximale Leistungsbedarf liege nur bei 1,4 Gigawatt (GW).
Als „grundsätzlich mögliche Handlungsoptionen“ sieht Schürer neben konventionellem Netzausbau und der Steuerung von Erzeugungsanlagen auch “flexible Lasten, den Einsatz neuer Netztechnologien wie zum Beispiel Regelbare Ortsnetztrafos (RONT) und natürlich elektrische Speicher“. Hauptproblem dabei sind für die Main-Donau Netzgesellschaft die oft noch verwirrenden rechtlichen Vorgaben, die Verteilnetzbetreiber (VNB) beachten müssten. Während Einspeiser mit Speichern den Eigenverbrauch optimieren oder Übertragungsnetzbetreiber sie zur Frequenzerhaltung einsetzen dürften, haben VNB in den aktuellen Regularien nicht in die Möglichkeit mit Speichern „die Optimierung der Netzbelastung, die Spannungshaltung über Wirkleistung oder Blindleistung oder das Steuern der Blindleistungsbilanz“ zu realisieren, wie er mit „Daumen nach unten“ drastisch klarstellt.
Einfallsreich deshalb das von N-ERGIE gestartete „SWARM“-Projekt: 65 Einzelspeicher mit je 21 kWh Energieinhalt und 20 kW Leistungsfähigkeit sind über das Netzgebiet bei Kunden installiert und über eine zentrale Leitstelle gekoppelt. Neben der Erhöhung der Eigenverbrauchsquote des Kunden könne N-ERGIE dadurch 1 MW so genannte Primärregelenergie anbieten, die kurzfristige Netzschwankungen ausgleicht.
Ansonsten aber, so bedauert Timo Schürer, sei „die Einflussnahme des Netzbetreibers auf den Speichereinsatz beschränkt“ und hofft auf ein Einsehen des Gesetzgebers: „Wichtig ist eine gewisse Netzdienlichkeit, so dass Speicher die Netze auch wirklich entlasten.“

Smart Grid Solar: „Energiezukunft made by ZAE“?
Was beim Einsatz dezentraler Speicher im Versorgungsnetz Sinn macht und was nicht, das untersucht zurzeit das Zentrum Angewandte Energieforschung ZAE Bayern in Hochfranken im Projekt „Smart Grid Solar“. „Genau zwischen den Haushalten und den Verteilnetzbetreibern ist ein großer Kommunikationsbedarf“, das weiß Dr. Philip Luchscheider vom ZAE inzwischen. Aber wie der verbessert werden kann, welche Speichertypen am besten den Strom kurz-, mittel- und langfristig und zu welchen Kosten speichern können, das wird das ZAE noch bis Mitte 2017 erforschen. „Netzdienliche statt gierige Ladung und Entladung der Speicher“ stünden dabei im Blick, so Luchscheider.
Unter den verschiedensten Speichertechniken im Smart-Grid-Solar-Testfeld Arzberg ist auch eine Redox-Flow-Batterie (RFB). Nur wenige Hersteller gibt es dafür weltweit. In Deutschland ist neben Gildemeister – in Arzberg im Test – vor allem Vanadis Power aktiv, erläutert Dr. Andreas Luczak. Für die Tochterfirma der chinesischen Bolong Holding Group liegt der optimale Einsatzbereich von RFB in der Leistungsgröße von einigen 10 kW bis einigen 10 MW, um für mehrere Stunden bis zu mehreren Tagen Strombedarf auszugleichen. „Eine Art regenerative Brennstoffzelle aus Wasser, Säure, Vanadium“ nennt er RFBs, „ein relativ simples System mit wenigen Komponenten, wiederverwendbarem Elektrolyten, ohne Degradation (Leistungsabfall) über 25.000 Zyklen, dem auch Tiefentladung nichts ausmacht“. Bei der Lebensdauer – außer bei den notwendigen Pumpen – und der variablen Speichergröße sieht er RFB weit vorne. Als Nachteil gegenüber anderen, modernen Stromspeichern räumt Dr. Luczak aber ein: den schlechteren Lade-Entlade-Wirkungsgrad.

Viel diskutiert: Lithium-Ionen-Akkus
Gerade bei den Verlusten liegen offenbar Lithium-Ionen-Akkus (Li-Ion) weit vorne. Die Zellen sind heute bereits vor allem aus Mobiltelefonen oder Notebooks bekannt, lassen sich aber bis zu Einheiten im MW-Bereich zusammenschalten. Wenn man bestimmte Bedingungen einhalte, dann vertragen LiIon-Akkus „7000 80-prozentige Zyklen“ und weisen danach noch 80 % Restkapazität auf, erklärt Holger Schuh. Für den Deutschland-Vertriebschef von Saft aus Frankreich ist bei diesem „optimierten“ Betrieb von Li-Ion-Akkus besonders die (niedrige) Einsatztemperatur wichtig und das Bewusstsein, dass sie „nicht überladen werden dürfen“. Dann könnten sie „vor allem dort, wo schwache Netze existieren wie auf der Nordseeinsel Pellworm oder in den USA“ diese stabilisieren helfen, nennt er aktuelle Einsatzbeispiele.
Gleichzeitig macht er wenig Hoffnung, der aktuell erkennbare „Preisverfall von einem Prozent pro vier Wochen“ werde lange anhalten: Nicht die Kostenreduktion bei den Herstellern sei daran schuld, sondern die Fertigungs-Überkapazitäten. Doch der Bedarf an Speichern weltweit steige rasant.

Speicher-Kapazitäten im Vergleich
Aber kommt der Bedarf auch durch die Zunahme von Wind- und Sonnenstrom im europäischen Kontinental-Verbundnetz zustande? Prof. Dr. Matthias Luther vom Lehrstuhl für Elektrische Energiesysteme der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg relativiert den Speicher- und Regelleistungsbedarf im Verhältnis zum gesamten Stromfluss gewaltig. Gerade mal 3.000 MW werde „rotierend vorgehalten für die Primärregelung im Sekundenbereich, etwa 2.000 MW für die Sekundärregelung im Minutenbereich“. Zum Vergleich: Die Solarstrom-Spitzenleistung in Deutschland beträgt zurzeit etwa 90.000 MW; das wiederum entspreche der maximalen Gesamt-Abnahme im deutschen Stromnetz, so Luther.
Und auch die vieldiskutierte Reserveleistung deutscher Pumpspeicher-Wasserkraftwerke ist für ihn nur ein kleiner Punkt im Stromverbrauchskuchen: 7 GW Leistung haben alle zusammen, und eine Energiemenge von 0,04 TWh können sie zur Verfügung stellen, klärt der Uni-Professor auf, „übrigens genauso viel wie die Batterien von 2 Mio. Elektroautos“, ebenfalls immer wieder ins Speicher-Spiel gebracht.
Um dagegen 50 MW – also ungefähr die halbe Spitzenlast – für zwei Wochen aus Speichern zur Verfügung zu stellen, sei eine Strommenge von 16,8 TWh notwendig, so Prof. Luther: „Das geht nur über‘s Gasnetz. Die Lösung für Langzeitspeicher ist für mich P2G (Power to Gas) – der Nachteil sind derzeit der Elektrolyse-Wirkungsgrad von 60% und zusätzliche Verluste bei der Rückverstromung“, mahnt er Entwicklungsbedarf an. Aber für Kurzzeitregelung und andere Netzdienstleistungen genießen auch bei Matthias Luther offensichtlich Batteriespeicher Priorität.
Speicher – (fast) alle sind betroffen
Dass das Speicher-Thema weite Bereiche des Lebens und der Wirtschaft betrifft, zeigt neben der bunten Mischung der Teilnehmer auch die breit gefächerte Veranstalter-Riege des Fachforums. Gemeinsam mit dem Energie Campus Nürnberg haben es die IHK Nürnberg für Mittelfranken, der VDE-Bezirksverein Nordbayern e.V., der VDI Bezirksverein Bayern Nordost e.V. und die ENERGIEregion Nürnberg e.V. auf die Beine gestellt.

Willi Harhammer

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